Chemotherapie
Die Chemotherapie läuft jede Woche, im Turnus drei Wochen Chemotherapie, eine Woche pause. Jede Woche fahren wir morgens zum Krankenhaus, parken den wagen im Parkhaus und gehen in die Praxis, alles wird Routine. Zur Anmeldung, bescheid geben das man da ist, im Wartezimmer warten bis man aufgerufen wird. Alles sehr freundlich. Zwischendurch wird man vom Arzt mal rein gerufen, man bekommt etwas Bewegung. Ein paar Meter laufen, dann setzen und reden. Reden wie es einem geht, reden über Gott und die Welt. Ein prima Onkologe der nicht nur das medizinische sieht, der den Menschen hinter der Krankheit sieht.
Die meisten Patienten kennt man schon vom sehen, und man redet auch ab und zu mal, aber mit dem Namen kennt man sie nicht. Die Türkin die jede Woche von ihrem Mann gebracht wird, die ich beneide. Sie hat nichts zum lesen dabei, nichts zum ablenken, sie sitzt nur da und wartet bis das es durchgelaufen ist. Sie sitzt nur da, schaut zum Tropf oder nickt kurz mal ein. Diese geduld die diese Frau hat, Wahnsinn, nur da sitzen und nichts tun. Andere Patienten lesen, Stricken, lenken sich ab, damit die zeit vergeht. Ich und meine Frau spielen karten. Oder die Frau, die jedes Mal nach dem Mittagessen schlecht wird, man gewöhnt sich an jedem, keiner ist hier fremd, man versteht sich zum teil nur mit Blicken. Ja Essen gibt es hier, jeden Donnerstag wenn wir hier sind, bekommen wir morgens unseren Essensplan, und können uns das Essen aussuchen. Man wird umsorgt. Zwischendurch war in der Praxis Baustelle, oder im ganzen Gebäude, das hat genervt, der Presslufthammer der die ganze zeit das Gebäude erzittern ließ, der Lärm. Die Ruhe war vorbei. Es war ziemlich nervig, und man konnte den Krach nicht entfliehen, man hing am Tropf fest, musste es aussitzen.
Mal lief das Radio, mal war es aus, dann hörte man, wenn es ganz still war, das Atmen der Menschen hier, das schnaufen einiger Patienten, wo der krebs etwas weiter gewütet hat. Man konnte sogar das Tropfen im Infusionständer hören, und dann hörte man das piepsen, wenn man an einer mechanischen Pumpe hing, und die Lösung durch war. Draußen hörte man, mit etwas Glück manchmal ein Vogel oder mehrere, die Autos auf der Strasse, das Hupen. Man hörte das leben. Es wurde manchmal jäh, vom Ton des nahen Todes gestört, wenn der Hubschrauber ankam. Man weiß ja, wenn der Hubschrauber ankommt, geht es um Sekunden, da wäre ein Krankenwagen sinnlos, man hätte keine Chancen mehr zum überleben, auf deutsch gesagt, das letzte Häufchen leben kommt angeflogen. Es war aber selten, das man ihn hörte. Es war alles normal, manchmal dachte man darüber nach, was denn mit dem einen Patienten ist, den man eigentlich auch jedes Mal hier gesehen hat, der aber heute nicht da ist.
Die Nebenwirkungen hielten sich in Grenzen, ich war nur müde und hatte extremen Hunger nach der Chemo-. Es sollte sich aber etwas ändern… Angst Panik bekam ich kaum, ich wurde nur aggressiv, ich fühlte mich schlapp und fertig die nächsten beiden tage nach der Chemo-. Es war alles normal, wie ich mittlerweile wusste, der Körper verkraftet es nicht einfach so, wenn man ihn mit Gift voll pumpt, dosiertes Gift, das einem das Immunsystem kaputt macht, die Blutwerte und den Kreislauf durcheinander bringt. Es ist normal diese Reaktion, dieses mal wusste ich es, man gab mir Antworten, auf meine fragen, auf jede Frage die ich wegen der Chemo- hatte, keine blieb offen. Man wurde sehr gut betreut, ich machte mir keine sorgen. Man wird auch etwas depressiv sagte man mir. Zweifel an der Chemo- bekam ich erst, nachdem ich komische Gedanken bekam, Gedanken die mir nicht fremd waren, aber die beim letzten mal nicht so ausgeprägt waren, so unwahrscheinlich zwingend zu handeln. Ich bekam den Drang mich selbst zu richten, mich selbst zu töten. Alles wurde sinnlos was ich jetzt mache, mir kam das ganze Leben noch mal in den Sinn, es ist doch bisher nur scheiße gelaufen, auch als ich heiratete. Ich behandelte meine Frau und meine Kinder nicht aufrichtig, eher wie ein Tyrann, war meistens nur mies gelaunt, also warum sollte es besser werden wenn ich diesen Krebs besiege. Dann falle ich in mein altes Ich zurück, gehe wieder arbeiten, und alles bleibt so wie es ist. Was bringt es also, die Chemo- weiter zu machen, gesund zu werden, meine Familie ist besser dran ohne mich. Ich verdrängte diese Gedanken, sie waren es nicht wert weiter zu denken. Aber einfach nur verdrängen ging nicht, kann man nicht. Vor allem wenn man sich zuhause wieder aufführt wie der letzte Tyrann, nur am streit suchen ist, seinen spaß dran hat, alle anzubrüllen. Jedes Mal, wenn ich runter ging in den Keller nur auf Socken um was aus dem Eisschrank zu holen, holte mich die Chemotherapie wieder ein. Diese blöden Nebenwirkungen, wir haben ein altes Fachwerkhaus, da ist es selbst im Sommer schön kühl im Keller. Nur ich reagiere extrem empfindlich auf Kälte, es scheint mir so als würde ich Feuer anfassen, so brennt es manchmal. Einfach schrecklich man kann nichts kaltes anfassen, draußen ist es warm und man will ein kühles Wasser trinken. Unter leichten schmerzen geht es, aber wenn man was gefrorenes aus dem Gefrierschrank holt, geht ohne Handtuch gar nichts, man kann es nicht mehr fassen. Bei Hitze oder wärme fängt es auch jetzt noch an, morgens der heiße Kaffee anzupacken, unmöglich. Ich habe mir angewöhnt ich lasse ihn einfach stehen, abkühlen. Meine Frau weiß nichts davon das es so extrem ist, braucht sie auch nicht zu wissen, fährt in Mutter-Kind Kur. Wenn sie was weiß, vielleicht bricht sie vorher ab, oder sagt die Kur ab, das geht nicht. Sie brauchen die Erholung, den Abstand zu mir. Augen zu und durch. Auch von meinen Gedanken, weiß sie nichts. Braucht sie auch nicht. Sie soll sich keine Sorgen machen, das mache ich mir schon genug. Sorgen darum, was los ist, und wie es weiter gehen soll. Weiter gehen mit der Krankheit krebs. Mit dieser scheiß Krankheit, die einem keine Ruhe gönnt, mit der man lebt, und mit der Angst.
Der tag der Abreise ist da, meine Frau fährt in die Kur nach Amrum, gestern waren wir noch mal bei meiner und Ihrer Ärztin, sie brauchte noch was. Meine Ärztin fragte mich, und wie geht es Ihnen. Da rutschte mir was raus, eigentlich ganz gut, nur das ich schon geplant habe mich umzubringen. Sie blockte ab, sah zu meiner Frau, und sagte, heute Mittag kurz vor vier kommen sie zu mir in die Praxis. Aber meine Frau hat es mitbekommen, ich merkte es. Sie sprach mich darauf an, ich wich aus, oder sagte das hast du falsch verstanden. So ging der Morgen vorbei, und ich war froh das es halb vier war, raus aus der Wohnung und ab zu meiner Ärztin.
|