Die nächste Chemo
Gestern morgen sind wir mein Schatz und ich, zu meinen Onkologen gefahren. Auf dem Weg dahin hörten wir eine sehr gute CD die wir von einer Freundin, am Abend vorher bekommen hatte. Ich hatte mich die Woche damit abgefunden, das ich eine Pumpe bekomme, habe mich mit den Gedanken angefreundet, war bereit dafür, aber es war wie ein Schlag mitten in die Psyche. Mein Onkologe sagte, das macht er doch nicht, ich bekomme sie in der Praxis und dauert vier Stunden. Mir wurde richtig schlecht, meine Angst stieg hoch, ich bekam Panik. Am liebsten wäre ich aufgestanden und raus gegangen. Es war ein Gefühl, ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll. Ein unheimliches Gefühl, als ob man mich einsperrt. Ich sollte mindestens vier Stunden da rum sitzen, ja ich könnte auch ein wenig laufen, aber nicht nach draußen über den Teer. Ich würde Gefangen sein, in den Räumen. Gefangen an diesem Ort, für die nächsten Stunden, Stunden die wie Tage vorkommen können, Tage an denen die Sonne nie untergeht, und man es nicht merkt das wieder einer rum ist. Es ist so als würde man eine Fußfessel bekommen, Freilauf 30m und dann ist Schluss. Ich fühlte wie Tränen der Angst in mir hochkamen, ich war geschockt. Diese Räume machten mir Angst, hatte das Gefühl, als würden die Wände näher auf mich zu kommen, der Raum wird kleiner, Angst machte sich breit. Angst und Panik stand in mein Gesicht. Ich dachte mir, es wäre schön jetzt privat versichert zu sein, da gibt es doch bestimmt die Möglichkeit, das man das Zeug dann zu hause rein bekommt. Man könnte sich gemütlich auf die Couch schmeißen, den langweiligsten Film, aller Zeiten, für mich Titanic anmachen, und einschlafen. Nicht mitbekommen, dann irgendwann aufwachen und merken, die Hälfte ist schon weg. Das wäre schön, geht vielleicht als Privat, keine Ahnung, aber als Kasse. Vier Stunden mindestens, wenn man die Zeit mitrechnet die sie brauchen um die Chemie zu mischen, und zwischen durch etwas Leerlauf, weil die lieben Pflegerinnen sind ja nicht nur für mich alleine da, können es auch mal fünf werden. Schon dröhnte es, fünf Stunden wirst du pro Woche hier verbringen. ich versuchte zu handeln, mit abends schlafen gehen, und dann das Zeug über Nacht, aber keine Chance erstmal. Erstmal schauen wie sie es vertragen, dann können wir immer noch was ändern. Fünf Stunden, eine lange zeit, in der man viel machen könnte. Fünf Stunden die viel zu schnell vorbei gehen, wenn man bei guten Freunden oder wenn man bei Geschwistern ist und sich unterhält, oder diskutiert über die Auslegung Gottes Wort. Aber hier? Hier werden fünf Stunden auch vorbei gehen, aber viel langsamer, die Zeit wird quälend langsam vor sich hin schleichen, ganz langsam. Die Gedanken hämmern um die fünf Stunden. Der Onkologe fragt, wann wollen wir anfangen? Am liebsten hätte ich gesagt, gar nicht. Meine Frau sagte, heute. Er sagte es könnte nur dauern, er müsste den Therapieplan, rüberfaxen. Sie müssten das dann herstellen, es könnte noch eine Weile dauern. Meine Frau meinte, wir müssten die Kinder um vier abholen, spätestens halb fünf. Das wird knapp sagte er, ziemlich knapp. Wir gingen noch etwas raus, erkundigten uns wegen den Parkgebühren. 0,50 Euro die erste Stund, danach jede weitere Stunde 1 Euro. Na das wird teuer, dachte ich mir. Wir gingen noch was zu trinken kaufen, und eine Tüte Bonbons, zu essen hatten wir nichts dabei. Wir redeten. Meiner Frau standen die Tränen in den Augen und ich war nervlich fertig, hatte keine Lust mehr. Meine Mamili redete noch mit meiner Seelsorgerin, wegen den Kindern. Sie holte sie ab und betreut sie auch noch, bis das wir wieder zuhause sind. So, Kinder sind versorgt.
Wir kamen wieder zurück, in die Praxis, meine Chemie war schon fertig. Es waren zwei Sorten, die eine Sorte Gemcitabin kannte ich schon von letztes Jahr, war nur nicht so stark, weil ich Probleme damit hatte, die andere Sorte war Oxaliplatin, beide Sorten jeweils 500 ml, dann hingen noch drei Glucoselösungen und eine Kochsalzlösung an meinen Ständer. Sechs Flaschen, insgesamt, drei Liter, mindestens vier Stunden Laufzeit ging mir wieder durch den Kopf. Vier Stunden die ganz langsam vergehen werden.
Die Pflegerin fragte ob ich einen Port habe, ich sagte ja. Sie kramte alles zusammen, die Nadel, kleine Kompresse und Pflaster. Beim nächsten mal werde ich mich dort rasieren, es zieht ganz gut, beim abmachen des Pflastrers, auch wenn nur wenig Haare da wachsen. Aber die paar Haare will ich behalten, es reicht wenn meine Glatze größer wird. Die Nadel merkte ich gar nicht. Ich durfte mich nebenan hinsetzen, meine Frau wartete schon. Was machen wir jetzt. Nur rum sitzen, kein guter Gedanke. Wir sprachen darüber das wir, nächste Woche uns Karten mitbringen werden, zum spielen, aber heute was machen wir. Schon fing es an. Denken, vier Stunden nur so rum sitzen, die zeit wird zum schleichenden Foltergerät. Wann kann Zeit uns Foltern, ging es mir durch den Kopf. Eigentlich nur wenn wir uns in einer Notlage befinden, wir gefangen sind, keine Möglichkeit haben zum Ablenken, dann kann sie uns foltern indem sie nicht vorbei geht. Ich dachte daran, jetzt ein Laptop haben. Was könnte ich alles schreiben, es geht mir so viel durch den Kopf. Ich würde Romane schreiben. Vielleicht nehme ich mir Block und Stift nächste Woche mit, schreibe zwischendurch alles auf, was ich denke. Meine Frau, stand auf, und kam Freude strahlend wieder. In der Hand ein Rommé spiel. Endlich was gegen die zeit. Die Zeit verging. Die Pflegerin ging öfters durch das Zimmer und fragte nach, wie es einem geht, auch der Arzt kam öfters und erkundigte sich, so was kannte ich nicht vom Stilling, hier wird man noch als Mensch behandelt und nicht wie eine Nummer im Rechnungswesen. Man fühlt sich gut aufgehoben, es interresiert einem wie es einem geht. Von der Chemie merkte ich nichts, ist nur blöd, das man aufpassen muss, wenn eine Flasche leer ist, wegen umstecken. Wenn das noch wegfallen würde, wäre es noch erträglicher, man würde gar nichts mit bekommen. Wir spielten und spielten. Zwischendurch gab es noch Mittagessen, aber ohne Tabletten wollte ich nichts, vielleicht nächste Woche, mal sehen was es gibt. Zuerst war Gemcitabin dran, davon merkte ich gar nichts, super. Wenn ich an jetzt an letztes Jahr denke, ging es mir super. Dann kam Oxaliplatin, der Anfang war astrein, aber dann, merkte ich, ein Kribbeln in den Fingerspitzen und in den Beinen, es stieg eine Lustlosigkeit in mir auf, hatte keine Lust mehr zum spielen. Ich wusste nicht was los ist, meine Psyche ging auf Abwehr, Angst und Panik fingen leicht an. Das Gefühl verblasste, hielt nur kurz an, vielleicht zwei, drei Minuten, dann war alles wieder normal, ich hatte auch wieder Lust zum spielen. So ging die Zeit vorbei, meine Frau verlor sehr hoch gegen mich, davon war sie nicht sehr angetan. Für die letzten drei Flachen, wurde eine Pumpe verwendet, damit es etwas schneller geht. Zum Abschluss wurde ich noch mal gefragt, wie es mir geht, und ob ich Probleme hatte. Ich erklärte ihr was los war, sie sagte das ist normal, mit dem Kribbeln und der Lustlosigkeit. Mit der Angst und Panik soll ich aufpassen, wie es beim nächsten mal ist, wenn es schlimmer wird, soll ich bescheid geben. Ich bin richtig müde. Am Montag soll ich zum Hausarzt, und Blutwerte machen lassen, die sollen sie durchfaxen, und am Donnerstag nächste Woche geht es weiter. Mir graut es schon davor, wenn mein Schatz in Kur ist, und keiner hat zeit mich zu begleiten und ich sitze alleine da, vier oder fünf Stunden. Auf den Heimweg gab es kurz noch etwas ärger. Ich sagte zu meiner Frau, ich fahre schon mal zur Schranke, geh du zum Parkautomat. Sie hat es nicht mitbekommen. Ich fuhr Richtung Schranke, gegenüber stand ein Pfleger und eine Schwester am Rauchen. Meine Frau kam an, machte die Tür auf und fing an zu wettern, die beiden Raucher grinsten heftig, ich traute mich nicht auszusteigen, ich kletterte lieber im Auto von einem Sitz zum anderen. Dann brachte ich in Neunkirchen an der Apotheke den nächsten Schlag. Meine Schatz ging in die Apotheke, und ich kam auf die Idee, mal kurz zur Vertretung von meinem Hausarzt zu gehen, wegen den Blutwerte, ob er so was macht. ich ließ den Schlüssel stecken, den Wagen klaut eh keiner, so bekannt wir sind, fällt er sowieso auf, und ging zum Arzt. Die Vertretung befand sich ungefähr 50 m vom Auto, etwas nach hinten versetzt. Da ich keinen Zettel gefunden hatte, und auch keine Lust hatte unbedingt in die Apotheke zu gehen zu meiner Frau, um bescheid zu geben, bin ich so mal eben kurz weg gewesen, geht ja schnell dachte ich, ist ja nur eine Frage. Aber das ungefähr vier Leute vor mir waren, konnte ich nicht ahnen. Sie bräuchten nur zu wissen welche werte. Für diese Antwort brauchte ich gefühlte 30 Minuten. In Gedanken war ich schon bei meiner Frau, was wird die sauer sein, oder ist sie eventuell weg gefahren mich suchen? Ich ging runter Richtung Auto, ihre Blicke konnte ich schon von weitem spüren, ich bekam einen Schauer und Gewissensbisse, es war wohl doch nicht so eine gute Idee gewesen, einfach so zu verschwinden, ich sollte es noch zu spüren bekommen, zum Glück waren die Scheiben zu, man konnte und nicht hören, ich versuchte mich rauszureden, aber keine Chance. Das schlimme war ja nicht nur das ich weggegangen bin, nein das ich auch noch den Schlüssel stecken ließ.
Habe am nächsten Tag bei meinem Onkologen nachgefragt, die HB-Werte Leukozyten und Thrombozyten oder so, und die Nierenwerte (Kreatin) brauchen sie. Zuhause angekommen, knallte ich mich auf die Couch, und war auch direkt weg, am schlafen. Ich war einfach nur müde, bin auch ziemlich früh, gegen neun Uhr ins Bett und heute morgen erst gegen halb neun wieder raus. Wir haben uns noch erkundigt, bei der AOK, wegen den Parkgebühren, sonst würden wir mit einem Taxi fahren. Die Parkgebühren werden übernommen. Danach waren wir noch bei meiner Seelsorgerin sie war gar nicht zu hause, aber ihr Mann. Wie immer wurde das Inventar herzlich begrüßt, so wie man seine Geschwister begrüßt. Wir redeten über vieles, die Zeit rannte vorbei. Warum rennt sie so nicht, wenn ich die Chemie bekomme, warum dann nicht? Die Frage kann wohl keiner beantworten. Ich jedenfalls nicht.
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